Prolog
Fehlende Brotdose
Der 3. Juni 1982 ist ein Tag, der in Kreisen der Royal Air Force mindestens als Anekdote gut bekannt ist. Auf 40.000 Fuß, mit offener Escape Hatch und einer fehlenden Brotdose macht sich eine Crew um den schottischen Squadron Leader Neil McDougall auf den Weg nach Rio de Janeiro.
Unfreiwillig.
In eisiger Kälte rast die Besatzung von XM597 der No. 50 Squadron begleitet von einer Nimrod und einer Victor der Küste entgegen. Das Flugzeug ist beschädigt und läuft trocken. Für die Hauptrolle in Mission Black Buck 6 steht jetzt eine Diversion an. Bloody’ell!
Trotz drohendem Gehirnfrost: Mitdenken ist angesagt. Kurz zuvor hat McDougall die Anweisung gegeben, pikante Dokumente loszuwerden. Mit improvisiertem Gewichten versehen, wird eine Brotdose mit geheimen Einsatzdokumenten bestückt. Destination: Atlantik. Und dann sind da ja noch die zwei in den USA gekauften AGM-45 Shrikes unter den Tragflächen des V-Bombers, die hoch offiziell eigentlich gar nicht da sind. Und jetzt ebenfalls in die Wellen müssen.
Es steht ein Moment an, der von der Royal Air Force in dieser Form sicher nie trainiert wurde. Die Einstiegsklappe hinter dem Bugfahrwerk, die für eine Öffnung in dieser Höhe von Avro selbstverständlich nicht designt wurde, lässt sich nur mit sanfter Gewalt öffnen. Von Schließen gar nicht zu reden. Bloody, bloody’ell!
Aschenbecher als Ersatzteil
Tiefer fliegen geht nicht. Die vier Bristol Olympus werden sonst noch durstiger, Reichweite ist essenziell. Auch wenn der ikonische Vulcan-Bomber in all seiner Geschmeidigkeit am Himmel nicht allein ist, die Möglichkeit einer Luftbetankung hat die Crew verspielt.
Bloody, bloody, bloody’ell!
Nicht nur der schottische Pilot, auch das Flugzeug selbst hat Ermüdungserscheinungen gezeigt. Beim letzten Andockversuch an den Korb der Victor, Kennung XH673, hat McDougall unter den besorgten Augen von Air-To-Air Refueling Instructor Flight Lieutenant Brian Gardner das Ventil beschädigt. Bei acht Anflügen berührte der Squadron Leader vier Mal den Rand des Korbes. Einmal zu viel. In einer Tonspur britischer Flüche offenbart sich das Problem: Warning Lights gehen an und ein kurzer Kerosin-Katarakt ergießt sich über die kleinen Fenster der Vulcan.
Was fast zu erwarten war. Die Refueling Probe war eigentlich schon längst außer Betrieb und wurde für den Falklandkonflikt wieder nachgerüstet. Auch wenn sich die Briten in der Geschichte in der ganzen Welt Länder und Territorien zu ihrem Eigen gemacht hatten, die Falklandinseln waren weit, weit, weg. Die Vulcans sollten daher einen Strohhalm erhalten. Aus reaktivierten, alten Lagerbeständen und Teilen, die sogar als Aschenbecher in Crew-Räumen gelandet waren – so die Legende.
Angehört wie Donald Duck
Die Uhr tickt. Die Homebase auf der Vulkaninsel (wie passend!) Ascension ist viele Flugstunden entfernt, RTB kein Thema und McDougall ordert die Diversion an.
Es ist ein sonniger Tag im Brasília Area Control Center I, als es auf 121,5 Mhz plötzlich undeutlich schreit: „Mayday, Mayday, this is Ascott 2357, Mayday, Mayday“.
Die Fluglotsen in Brasilien, die die Vulcan auf dem Sekundärradar identifizieren, verstehen kaum, was McDougalls Crew in die Sauerstoffmasken brüllt. „Es hat sich angehört wie Donald Duck“, sollen sich die Lotsten später erinnern. Klar ist aber sofort: Es handelt sich nicht um eine Passagiermaschine.
Um 11.50 Uhr lokaler Zeit soll der Spuk vorbei sein. Nach einem Abfangmanöver und damit ersten „Kampfeinsatz“ zweier F-5E Tiger der 2º Esquadrāo der brasilianischen Luftwaffe setzt XM597 auf der Landebahn in Galeão auf.
Der Anflug entsprach laut späteren Berichten einer Air Show. Zu hoch reinkommend und mit Hilfe steiler 3-G-Turns leitet McDougall nach einem langen Arbeitstag mit einer sanften Landung seine Aussicht auf Feierabend ein.
Doch nach Party ist der Crew nicht – denn unter der Tragfläche befindet sich immer noch ein AGM-45 Shrike-Problem. Die USA, die sich im britisch-argentinischen Konflikt neutral halten, sollten unter keinen Umständen als Waffenlieferant bekanntwerden. Eine der Luft-Boden-Raketen konnte die Crew parallel zur Brotdose entsorgen. Die zweite klemmte. Natürlich. Bloody … ihr wisst schon …
Air Electronics Officer Rod Trevaskus springt daher kurz nach der Landung aus der Maschine, um die Shrike wenigstens zu entschärfen. Ein Blindgänger, der auf dem zivil genutzten Teil des Flughafens Galeão ein Desaster anrichtet, wünscht sich niemand.
Als die Triebwerke dann ausgehen, stehen bewaffnete Truppen schon bereit. Unter den Augen von Jośe Teófilo Rodrigues de Aquino geht es in das Offizierskasino der örtlichen, brasilianischen Luftwaffe.
Gefaxtes Manual
Dort wird die Crew von XM597 vorerst festgehalten. Für sie folgen ruhige Tage in brasilianischen Militär-Baracken. Mehr Aufregung erreicht dafür die politische Führungsebene. Die eiserne Lady selbst bekommt das Problem auf den Tisch. Auf ihrer Seite des Atlantiks werden in nächtlichen Verhandlungen die Rahmenbedingungen für einen Release der Vulcan-Crew geschmiedet. Brasilien befindet sich Anfang der Achtziger in einer Diktatur, es ist daher anfangs unklar, wie die Notlandung politisch interpretiert wird.
Am 10. Juni kommt die frohe Botschaft aus der Botschaft: Die Crew darf ihre Maschine nach Ascension zurückfliegen. Nur die Shrike bleibt in Brasilien. Sie wurde mit einem gefaxten Manual von Texas Instruments, improvisiertem Werkzeug und ein paar alten Matratzen zur Unterlage vorher noch von der Vulcan entfernt. Außerdem versprechen die Briten der brasilianischen Marine Ersatzteile für den Westland Lynx Helikopter, welcher 1978 von den Briten auch exportiert wurde und unter anderem an der Copa Cabana im Einsatz ist.
Die Vulcans sollten danach nur noch auf eine Kampfmission. Black Buck 7 mit Kennung XM607 macht sich noch einmal auf zur Stanley Airbase auf den kargen Falklandinseln. 21 Bomben gehen daneben. Zwei Tage später kapitulieren die Argentinier. Und die Tage der Vulcan-Kampfeinsätze sind gezählt. Danach fliegt sie nur noch als Tanker und, um bei Airshows mit ihrem heulenden Lärm die Alarmanlangen von Autos zu triggern.
Neil McDougall führt XM597 dann noch zurück zur RAF Waddington. Dort wartet schon ein Souvenir des Brasilienausflugs. Leider keine neue Brotdose. Die britische Botschaft in Brasilia hatte die Barrechnung des Offizierskasinos durchgeschickt.
Review
Klassisch, britisch, systemtief – so könnte man die Produktpalette von Just Flight zusammenfassen. Was Eigenproduktionen angeht, zumindest. Natürlich war es in der Geschichte der Add-ons, die bei Just Flight im Regal stehen, naheliegend, dass eines Tages auch die Vulcan an den Start gehen wird. Auch für andere, antikere Flugsimulatoren wurde der V-Bomber bereits veröffentlicht. Sprich, Research und Ground Work hatten die Briten schon mehrfach erledigt und sie sind im Thema Avro Vulcan zuhause.
Gut so. Die britische Luftfahrgeschichte hat Flugzeugtypen hervorgebracht, die bei Aviatik-Fans zu Popstars reiften. Und eine davon ist die Avro Vulcan. Daher ist eine Umsetzung, die die Maschine realitätsnah in den Simulator bringt, wünschenswert.
Eigene Plattform
Kurz zur Geschichte: Die Avro Vulcan ist das letzte Baby von Roy Chadwick, der von Alliott Verdon-Roes Assistent zu einem der führenden Flugzeugdesigner der vierziger und fünfziger Jahre herangewachsen ist. Basierend auf den Erfahrungen mit der Avro Lancaster galt es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Flugzeug für das britische Atomwaffenprogramm zu entwickeln. Da sich die USA als enger Partner bereits 1946 per Gesetz verwehrten, militärisch-atomares Wissen in andere Länder zu exportieren, lag es an den Briten selbst, eine eigene Plattform für Atomwaffen zu konzipieren. Ganz zu schweigen von der Waffe selbst.
Der Kalte Krieg ging gerade los, Interkontinentalraketen sollten noch Zukunftsgeschichte sein und das Flugzeug qualifizierte sich daher für eine zentrale Rolle im Atomwaffenprogramm. Städtenamen waren passé – nach Ausschreibung, Konzeptionsrunden und viel Politik wurden im Vereinigten Königreich damit die V-Bomber erschaffen: Avro Vulcan, Vickers Valiant und Handley Page Victor – drei strategische Bomber mit der Fähigkeit, Atomwaffen zu tragen.
Aus für den Höhenflug
Doch die Zeiten änderten sich und der Höhenflug der V-Klasse war im wahrsten Sinne des Wortes vorbei: Die Sowjetunion konnte bald mit der SA-2 hochfliegenden Flugzeugen entgegenwirken und zwang die Vulcan damit in den Tiefflug, wo der agile Jet seine Reichweite verlor. Das Atomprogramm wurde neu ausgerichtet und die Royal Navy sollte mit U-Booten die neue Plattform für einen hoffentlich nie eintretenden Atomschlag werden.
Das Aufgabenspektrum der Vulcan wechselte. Mit neuem Equipment ausgestattet, ging es über der GIUK-Lücke zur Seeaufklärung, die Vulcan erhielt damit den Zusatz MRR (Marine Radar Reconnaissance). Der Bauch der Maschine bot sich außerdem als Stauraum für Zusatztags an, der die Vulcan in Kombination mit einem Heck-Add-on zur Lufttankstelle machte. Soweit zur Geschichte.
B.2 und K.2
Es gab zwei Hauptversionen der Vulcan. Die B.1, die bereits 1956 ausgeliefert wurde, trug anfangs noch ein helles Farbkleid, so wie es bei fast allen nuklearen Bombern des Kalten Krieges auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs der Fall war. Eine B.1A-Variante sollte dann ein erstes ECM-System erhalten.
Just Flight hat sich auf die zweite Hauptversion gestürzt. In der Realität hat XM655 dafür Model gestanden und für rund 30 Euro bekommt ihr die B.2, die sich im Microsoft Flight Simulator noch per Mausklick zur MRR-Version oder Tanker-Version (K.2) individualisieren lässt.
Auch wenn die Camouflage-Bemalungen auf den ersten Blick alle gleich aussehen: Just Flight bietet hier Liveries verschiedener Squadrons, konzentriert sich dabei aber zum Großteil auf Maschinen, die auf der RAF Waddington zu finden waren. Black Buck 6, die Maschine aus unserem Prolog, gibt es im Netz zum Download – inklusive Shrike- und Brasilien-Sticker.
Zwei Soundsets, viele Kombinationen
Natürlich muss man hier auch die beiden Triebwerks-Varianten erwähnen. Und hier ist Just Flight in die Vollen gegangen. Auf der Vulcan B.2 kamen zwei Generation der Bristol Siddeley Engines zum Einsatz, und zwar die 201 und 301. Dabei handelt es sich um Triebwerke, deren Nachfolger auch als Rolls-Royce/Snecma Olympus 593 in der Concorde zu finden waren. Just Flight verspricht hier nicht nur zwei Varianten, die sich im Flugverhalten zeigen, sondern auch zwei extra Soundsets stellen die Briten bereit – am Original aufgenommen, versteht sich.
Kurz gesagt: Ihr habt genug Auswahl und Kombinationsmöglichkeiten, bevor ihr euch auf den Weg zu einer virtuellen Mission macht. Dazu gibt es noch zwei Handbücher. Das erste erklärt euch das EFB, das zweite umfangreich die Systeme der Vulcan inklusive Tutorialflug. Als jemand, der erst bei einer Frage aufs Handbuch zurückgreift, war die PDF bei mir bei manchen Flugphasen ständig geöffnet.
RAT und Blue Steel
Dass Just Flight beim 3D-Design in der Champions League mitspielt, muss hier nicht länger erörtert werden. Auch die Vulcan zeigt, warum. Äußerst ästhetisch steht die virtuelle Maschine auf dem Vorfeld. Chocks, Engine Covers, Ground Power und Palouste ergänzen das Flugzeug. Bei letzterem handelt es sich um ein französisches Aggregat, das die Triebwerke anpusten kann.
Die Farbbemalungen der verschiedenen Varianten sind authentisch, akkurat gestaltet und am 3D-Modell gibt es nichts zu meckern. Die Vulcan alterte schnell, das ist auch den Bemalungen von Just Flight anzusehen. Alles, was ich mit eigenen Augen am Flughafen Carlisle schon betrachten konnte, findet sich auch im Simulator wieder. Das stelzige Fahrwerk, die bullige Nase, die tiefen Triewberkseinlässe und die hohe Einstiegsleiter hinter dem Bugfahrwerk – alles liebevoll modellierte Elemente an einem minimalistisch designten Flugzeug.
Äußerlich könnt ihr die Vulcan auch on the fly verändern. Zum einen ist da der ECM-Pod für elektronische Gegenmaßnahmen zwischen Triebwerk 3 und 4, ihr könnt aber auch den Betankungskorb ans Heck zaubern und im Flug ausfahren. In der Ladeluke hat es Platz für verschiedene Objekte. Eine Blue Steel Rakete kann ebenso sichtbar gemacht werden, wie Mk13-Bomben oder einfach nur Zusatztanks.
Instant mehr Schub
Nachts ist die Vulcan dunkel. Was bei einem Militärflugzeug nicht überrascht. Außer Beacon Lights, Roll- und Landelichtern gibt es nur noch die Möglichkeit, die Tanksonde zu beleuchten. Komischer Bug bei mir: Nach der Rückkehr vom Flug, gingen zur Landung die Landelichter nicht mehr. Dieser Geschichte bin ich aber noch auf der Spur. Ich tippe auf Pilotenfehler. Bloody’ell.
Wer Flaps oder ähnliches vermutet, darf lange suchen. Das fliegende Delta braucht sie nicht. Auf dem Standard MSFS-Befehl für die Flaps findet sich daher die Speedbrake, die in zwei Stufen über und unter dem Flugzeug ausgefahren wird. Konzeptionell gar nicht doof, da diese Bremsen im Final in der Regel ausgefahren wurden, um instant mehr Schub für den Go Around zur Hand zu haben. Nichts Neues für RJ- oder Fokker-Piloten.
Und wenn die Bahn mal kürzer ausfällt, hat die Vulcan noch einen Bremsschirm im Heck. Dieser kann in Just Flights Flugzeug über den “Arm Speedbrake”-Befehl ausgefahren werden, oder automatisch bei der Landung, sollte dies entsprechend in der EFB aktiviert sein. Übrigens könnt ihr dort auch eine virtuelle Crew aktivieren, die euch beim Fliegen unter die Arme greift.
Klapp Pedestal
Der Autopilot am hinteren Klapp-Pedestal ist für sein Alter echt annehmbar. Nach dem er angeschaltet ist und sich eingekreiselt hat, kann der Autopilot Climb- oder Descent-Speed, Höhe und einen vorgegeben Kurs halten. Der kann vom Heading Bug, von einer TACAN-Station, einem VOR oder einem ILS kommen. Wichtig ist hier, wie der Flight Director am Front Panel eingestellt ist. 12 Uhr ist TACAN, die zwei Rechts naneben sind NAV und ILS. Ist der Flight Director auf ganz links gedreht, ist er in Bomb-Stellung. Fun fact: Mit einem kleinen, grauen Joystick konnte der Radar Operator tatsächlich vom Rücksitz aus die Vulcan steuern – zum Abfeuern der im Bauch getragenen Ladung. Just Flight hat dies nicht umgesetzt. Dieser Selector ist daher der Heading-Mode.
Neben dem Bomb-Selector gibt es noch die eine Remote-Stellung des Flight Directors. Diese erlaubt es euch, dem per EFB aktivierbaren Standard-MSFS-GPS zu folgen: Nein, das wird hier nicht getestet. Wo kommen wir denn da hin?
Denn dieses Flugzeug braucht beim Navigieren euer Gehirn und Situational Awareness. Das Military Flight System (MFS), das die AVRO-Designer im Cockpit verbaut haben, gleicht gefühlt der Instrumentierung einer Cessna 152 in einer Flugschule für Grobmotoriker. Pun intended.
Auch wenn ihr für Geschwindigkeit, Altitude und Höhenwechsel normale Instrumente erhaltet, so ist der künstliche Horizont und sein Kompass-Bruder darunter ein bisschen fordernder. Denn der sogenannte Beam Compass erfordert mehr Aufmerksamkeit als heutige Instrumente an dieser Position.
Ihr entscheidet, welche Gradzahl oben ist. Der Heading Pointer eures Flugzeuges zeigt dann immer in die magnetische Richtung, in die ihr gerade fliegt. Ist also Norden oben und euer Flugzeug in Richtung Süden unterwegs, zeigt die Nadel nach unten. Die Kompass-Skala könnt ihr nach Belieben verdrehen. Wollt ihr Osten oben haben, kein Problem. Die Flugzeug-Nadel lügt nie, zeigt aber vielleicht nach rechts, links, oben, unten.
Fünf Leute, viele Instrumente
Zur Navigation habt ihr drei Hilfsmittel. ADF, TACAN und einen NAV-Empfänger. (GPS? Ts ts ts … Da ist die Tür, tschüss! Ab zur Brotdose). Eine voll realistische Bedienung der Navigationsausstattung ist nicht möglich, denn Just Flight hat eigentlich nur 50 Prozent des echten Cockpits in den Microsoft Flight Simulator gebracht. Was aber Sinn ergibt.
Denn es galt: Fünf Mitglieder, viele Instrumente – was in den Fünfzigern ja eh in den Charts zu finden war, ging auch in der Avro. In der Vulcan saßen mit dem Rücken zu Pilot und Co-Pilot noch ein Radaroffizier, ein Kartenplotter und ein Bordingenieur. Deren Arbeitsplätze hat Just Flight nicht umgesetzt. Zumindest nicht komplett.
Es gibt zwar ein Radio-Panel auf nacktem Hintergrund für TACAN und Transponder und ein Electrical Panel in gleichem Style, diese sind aber nur per Camera-Preset zu erreichen und irgendwo im 3D-Modell des Add-ons versteckt.
Mehr braucht es auch nicht. Die ganzen anderen Instrumente waren vor allem für militärische Zwecke, die man eher im DCS als MSFS brauchen würde. In diesem fliegenden Museum habt ihr aber auch so genug zu tun.
Elektrisierend
Eine Besonderheit der Vulcan war das Design der Steuerflächenkontrolle. Die Primary Flight Control Unit wurde in der Vulcan an einen elektrischen Motor gekoppelt. Sollte dieser ausfallen, gab es kein mechanisches Backup. Darum war Stromversorgung in der Vulcan überlebenswichtig, wie der Absturz zweier Prototypen leider deutlich machen sollte.
In der B.1 sollten Standby Batterien 20 Minuten das System am Leben halten. In der B.2 wollten die britischen Ingenieure auf Nummer sicher gehen. Dafür wurde eine Art APU in der linken Flügelwurzel verbaut: Die AAPP, Airborne Auxiliary Power Plant. Diese sollte zwischen Ground und FL200 angeschaltet bleiben. Und dann ist da noch noch die Ram Air Turbine (RAT), die mit einem großen Hebel über den Glareshield aktiviert werden kann. Mit Speed über 250 Knoten oder Mach 0.85 sorgt sie per Fahrtwind für Strom, und startet automatisch per Kartusche die AAPP. Heißt: Backups sollten rund um den Flug zur Verfügung stehen.
Ohne jetzt auf A- und S-Breaker einzugehen und ein Tutorial zum Synchronising Busbar niederzutippen, muss hier gesagt werden: Nice one, Just Flight. Denn dieser fürs Überleben essenzielle Teil der Maschine wurde systemseitig perfekt umgesetzt.
3 Minuten zum Heulen
So, genug gelabert. Rein in die Testflüge. Und hier kann es schnell gehen. Nur drei Minuten hatte die Vulcan nach NATO-Standards, um als QRA-Flugzeug am Start zu sein. Ground Power dran, Batterie, Engine Master und Ignition an, Schuhebel auf 50 Prozent, Start Selector auf Rapid und gib ihm: Alle vier Triebwerk starten sofort und ohne Beihilfe der Palouste. Vorher aber nicht die Low Pressure Cocks am Glareshield vergessen, sonst geht kein Sprint ins Triebwerk.
Das Tolle auch: Die PFC geht damit auch gleich online. Daher: Solltet ihr einen Feierabendlug planen, könnt ihr nach 5 Minuten in der Luft sein. Ein normaler Engine Start geht natürlich auch und dauert etwas länger.
Egal für was ihr euch entscheidet, spätestens hier macht sich die dröhnende Soundkulisse der Just Flight Vulcan bemerkbar. Schnaufend und heulend gehen die Triebwerke in den Betrieb, eine Gänsehaut fröderndes Orchester an Heulen, Schnaufen und Pfeifen ist zu hören. Ich hatte es schon mal in einer Review geschrieben: Sound macht die Hälfte der Immersion aus. Und hier passt alles. Just Flight liefert hart.
Und auch beim Beschleunigen wird das nochmal deutlich. Ob mit lautem Heulen der 301 oder ähnlicher Brutalität der 201, Außen wie Innen ist es eine Wucht. Eure Nachbarn werden euch hassen, wenn ich ihr euch mit der Druckwelle eurer Boxen einen Scheitel zieht. Geil.
Agiles Arbeiten
Der Take Off demonstriert, welche Kraft die Vulcan entfalten kann. Dank automatischen Speed-Callouts wissen wir auch, wann wir zu Rotieren haben. Ein kleiner Tipp: Drückt die Nase bis zur Rotation leicht nach unten. Dann kommt das Flugzeug beim Loslassen automatisch. Und sobald das Fahrwerk mit dem unkonventionellen Fahrwerk-Schalter eingeholt ist, geht’s in den Fahrstuhl.
Spätestens hier wird klar, welche Rolle dieser Jet im nuklearen Vergeltungs- und Abschreckungsschach spielen sollte. In wenigen Minuten habt ihr FL200, kurz danach FL300. Natürlich wollt ihr den Schub vorher auf 90 Prozent reduzieren und den RPM-Governor auf Cruise stellen. Dieser sorgt per zuschaltbarem JPT-Limiter dafür, dass ihr die Engines nicht zerstört. Aber auch dieser könnte abgestellt werden.
Solltet ihr gerade erhöhten Workload bekommen, weil ihr TACANs tunen müsst oder ADFs anpeilen wollt, könnt ihr den AP zuschalten. Dieser funktioniert, aber Präzision geht anders. Gerade im IAS-Mode hält er nicht immer den Speed, der bei Aktivierung auf dem Airspeed Indicator zu sehen war. Ich präferiere daher den Pitch-Mode zum Level Change, trimmbar am Pedestal.
Auch der ALT-Mode gönnt sich mal 100 Fuß über oder unter Target. Beim Anpeilen von VORs und TACANs im Trackmode bekommt der Flieger manchmal Schluckauf. Zwar fängt die Maschine anfangs schön den Kurs ein, sie geht nach einer Weile aber ins laterale Alternieren und fliegt kleine Schlangenlinien.
Nicht schlimm, denn sobald der Kurs gesetzt und die Maschine gelevelt ist, kann der Trackmode ja deaktiviert werden und die Maschine bleibt im Turn-Mode. Auch hier könnt ihr per Dial die Turn-Rate eindrehen.
Es gibt übrigens auch einen Autothrust, der per EFB aktiviert werden kann. Dieser war tatsächlich in der Avro Vulcan geplant, der Schalter dafür war vorhanden. Verbaut wurde er aber nie. Daher habe ich diesen auch in der Just Flight Vulcan nicht getestet. Apologies!
Ohne Autopilot ist es aber eh am schönsten. Ich war im Mach Loop, beim Air-to-Air-Refueling und im Streckenflug – jeder Flug erfliegt sich perfekt von Hand. Weich, aber super agil reagiert die Maschine auf Eingaben und meine Güte macht das Bock! Solltet ihr noch die letzten Air Shows nachfliegen wollen, gibt es im Handbuch gleich noch eine Anleitung, welche Manöver ihr fliegen sollt.
Beim Spritverbrauch solltet ihr hoch fliegen oder oft tanken. Denn natürlich fordern die Olympus auch im Hochbetrieb viel von eurem flüchtigen Treibstoff. Ein Handbuch um die Fuel Consumption zu checken, hatte ich nicht zur Hand. Hier vertraue ich Just Flight. Fast 75.000 Pfund könnt ihr in Max-Beladung mit Zusatztanks mitnehmen. Und auf 65.000 Fuß darf die Vulcan laut Spezifikationen auch.
Und wenn ihr Bock habt, unterwegs zu tanken: Auch das hat Just Flight simuliert. Aktiviert dafür einfach am rechten Panel beim Co-Piloten die entsprechenden Systeme und schon simuliert ihr die Luftbetankung. Ob hier noch eine Integration vom Air Show Assistant kommt, wird sich zeigen.
Die Landung ist ein Träumchen – habt ihr mal drauf, wie die Maschine auf den Schub reagiert, könnt ihr auch überladen feinste, irische Butter auf den Asphalt bringen – mit und ohne zuvor geschalteten Speedbrakes. Nur solltet ihr hier den Bremsschirm zur Hilfe nutzen, denn die Bremsen der Avro sind zwar vorhanden, aber ein bisschen überfordert, solltet ihr übergewichtig gelandet sein.
Fazit: Historischer Flugspaß
Ich könnte jetzt sich noch in vielen Abschnitten auf die Besonderheiten der Just Flight Avro Vulcan eingehen, weitere Systeme erläutern und diese in Kontext setzen. Aber die Frage ist ja am Ende, was bietet uns Just Flight für 30 Euro.
Hier muss ich nicht lange überlegen. Wollt ihr Spaß haben und seid nicht zu faul zum Lernen, schlagt zu! Die Just Flight Vulcan ermöglicht euch, für einen fairen Preis mit fantastischer Systemtiefe in historischen Flugspaß einzusteigen. Eine atemberaubende Geräuschkulisse wird euch ein Lächeln aufs Gesicht zaubern und der Workload der Maschine ist gut zu händeln – langweilig wird euch nie.
Auch wenn die heutigen Magenta-Piloten sich sicher fragen, was sie mit einem alten Militärofen im MSFS wollen, sei gesagt: Holt euch die Challenge! Denn Missionen gibt es genug, die die Sandbox des Microsoft Flight Simulator bietet.
Mach Loop, Air Show, Luftbetankung mit Air Show Assistant oder mit einem Buddy im Multiplayer, Streckenflug, Nachtmission, Platzrunden, Elektrik-Ausfall – die Vulcan ist euer Museum und ihr entscheidet, wie ihr es besichtigt. Endlich mal kein langweiliger Airliner, sondern ein Flugzeug der historischen Art in Airliner-Größe.
Mich ärgert nur, dass ich nicht früher in die Maschine eingestiegen bin. Aber wie ihre Geschichte ja zeigt: Auch lange nach dem Rollout gibt es noch Einsatzmöglichkeiten.
Ich werde sicher noch viele Flugstunden in der Maschine verbringen. Vielleicht mache ich mich auch mal auf den Weg in den Südatlantik zu den Falklandinseln. Aber natürlich nur für einen friedlichen Low Pass in Stanley. Eine Diversion nach Brasilien ist dann vielleicht auch drin. Dann aber mit Brotdose.
Nützliches, Quellen und Literaturhinweise
Just Flight Avro Vulcan – Just Flight Webshop
- Stream Deck Profil vom wunderbaren Guenseli
- Black Buck 6 Livery
- RAF Waddingten, Heimat der No. 50 Squadron (Freeware)
- Air Show Assistant
- https://www.pprune.org/military-aviation/656974-sqn-ldr-neil-mcdougall-dfc-raf.html
- https://web.archive.org/web/20190404015338/http://www.noticiasmilitares.com.br/2008/01/black-buck-6-uma-misso-de-combate-que.html
- Bird, Andrew D. Operation Black Buck 1982 – The Vulcan’s extraordinary Falkland War raids. Osprey Publishing, 2023.
- https://web.archive.org/web/20170417122825/http://www.raf.mod.uk/history/OperationBlackBuck.cfm
- https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Black_Buck
- https://en.wikipedia.org/wiki/Avro_Vulcan
Pulitzer Preis verdächtige Einleitung und dann auch Review! 🙂 Richtig großes Kino @Julius!
Schließe mich an, großes Feuilleton!^^
Danke für diesen tollen Artikel, Julius! Jetzt hab ich richtig Lust, in das RAF-Rabbithole abzutauchen.
Wirklich schöne Geschichte, das Review zu nennen ist krass.
Aufgabe über erfüllt.
Tolles Review. Danke. Kleine Korrektur: Der Flieger kostet 30€, nicht 20€.
Die Landescheinwerfer müssen unter 180 kts ausgefahren werden – und fahren über 180 kts wieder ein. Dies ist vermutlich der Grund, weshalb sie bei Dir nicht funktioniert haben.