Heathrow lohnt sich. Ob morgens um 4 oder nachts um 10Uhr, nicht nur virtuelle Pilot:innen aus aller Welt sorgen am größten europäischen Flughafen für Flugbewegungen, sondern auch die Anflüge sind ein Hingucker – erst recht im Microsoft Flight Simulator. Landet man Richtung Westen, bekommt London zu sehen. Bei Landung gen Osten immer Windsor Castle, da bei dieser Konfiguration fast ausschließlich auf der Nordbahn gelandet wird. Und seit vergangenem Wochen ist der Airport noch berühmter: „EEEEEEEAAAAAAsy…..EAAAAAAAAASYy…..“ Ich glaube, wir waren alle ein paar Minuten dabei, als BigJetTV die stürmischen Anflüge in Heathrow eingefangen hat. Kein Wunder, dass das virtuelle Heathrow danach auch gut besucht war. Es wollten eben viele herausfinden, wie es sich anfühlt, über River Crane mit ordentlich Vorhaltewinkel auf die 27L zu brettern.
Obwohl der MSFS schon seit August 2020 auf dem Markt ist, hat sich bisher noch kein Add-on-Hersteller an eine Umsetzung einer Payware-Version von Heathrow gemacht. Vielleicht auch, weil Nutzer:innen der Premiumversion eine sehr detaillierte Standardszenerie mitgeliefert bekommen. Diese besitzt zwar viele Mankos wie teilweise fehlende Rolllinien und andere kleine Schnitzer, aber fürs regelmäßige Fliegen war sie durchaus annehmbar. Vor allem, wenn die fehlende Nachtbeleuchtung der Vorfelder mit einem Freeware-Mod behoben wurde.
Jetzt ist iniBuilds also vorgeprescht. Mit Inhouse-Entwickler iniScene bieten die Briten seit gestern Nacht eine Payware-Version von Heathrow für den Microsoft Flight Simulator. Für knapp 25 Euro inklusive Steuern versprechen sie eine detaillierte Darstellung des Flughafens. Über 80 handplazierte Points of Interests sollen genauso zum Kauf locken, wie die über 10.000 Fahrzeuge, die sich am, im und um den Airport befinden. Na, wenn das kein Argument ist.
Erst Browser, dann EXE
Die Kundenreise ist bei iniBuilds interessant. Erst mal im Browser einkaufen – z.B. mit Paypal, Kreditkarte oder Apple Pay – und dann mit dem iniManager herunterladen. Dort wollen über 3 Gigabyte durchs Modem – im Community-Ordner sind es dann entpackte 10 GB. Was fehlt: Handbuch, Karten, Infos. Andere Entwickler setzen hier auf eine PDF-Handreichung, die wenigstens Credits oder Setup-Empfehlungen beinhaltet. iniBuilds verzichtet. Mit MSFS-Kund:innen kann man es ja machen. Ein redaktioneller Hinweis von mir: Die Standard-Version von EGLL, die im Premiumpaket enthalten ist, sollte per Content-Manager deinstalliert werden.
Asbestverseuchte Cranebank
Das echte London Heathrow platzt aus allen Nähten. Wenn Flugzeuge mit 160 Knoten bis vier Meilen an den Platz rankarren müssen, spricht das immer für eine hohe Staffelung. Durch das große Verkehrsaufkommen und den Slot-Fight hat sich Heathrow in den letzten Jahren auch oft verändert, um den Transportwünschen der Airlines zu entsprechen. Covid hin oder her. Die Umstrukturierungen sind auch beim Airport-Aussehen erkennbar. Wer jetzt eine Promotion zur Layout-Geschichte von Heathrow erwartet, konsultiere Wikipedia.
Dennoch, hier ein paar Worte: Heathrow kann grob aufgeteilt werden. Im Westen am Terminal 5 sitzen mit British Airways die Platzhirsche. Terminal 1, 2 und 3 bilden den alten und neuen Kern des Platzes. Im Süden ist das schöne, gammelige Terminal 4, das früher die Concorde bediente.
Im Westen daneben darf DHL Cargo abholen. Und im Osten des Flughafens hat British Airways die gesamte Infrastruktur untergebracht. Maintenance, Hallen, Büros, Flight Training Center und Parkplätze – hier ist alles hergewandert, was in der asbestverseuchten Cranebank nicht mehr bleiben konnte.
Form und Aussehen der Terminals haben iniScene durchaus getroffen. Ob von nah oder fern, die Terminals sind detaillierter als die Standardversion und passen ins Gesamtbild. Ob ranziges Terminal 4 oder modernes Terminal 5, die baulichen Unterschiede der Abfertigungsgebäude machen den Charme des Flughafens aus. Allerdings frage ich mich, warum die Terminals im Dunkeln so leblos wirken müssen. Gerade das lichtdurchflutete Terminal 5 sieht nachts aus, als hätten British Airways die Stromrechnung nicht bezahlt. Auch die sich wiederholende Textur, die das Innenleben an den T5-Satelliten vorgaukeln soll, stört das Auge.
Am lieblosesten sind die Klotz gewordenen Maintenance-Hallen im Osten des Platzes. Es bleibt ein Rätsel, warum iniBuilds nicht einfach die Tore geschlossen ließen. So schaut man in leere Hallen. Grausam. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum vor dem Flug nur Gates als Startposition im Simulator-Menu zu finden sind. Wer seinen Flug im Wartungsbereich starten will, muss sich dort hinbeamen oder schleppen lassen.
Überrascht hat mich auch die Detailstudie der Rohre des Tanklagers. Wer hier also die Quelle des britischen Kerosin genauer betrachten will, kann sich an Windungen und Rohren erfreuen.
Abgekärchert
Doch wir virtuellen Pilot:innen schauen natürlich lieber aufs Vorfeld. Und hier hat iniBuilds nicht an Objekten gespart. Stairs, Fahrzeuge, Lastwagen am Cargo-Terminal, Loader – Standard-Assets en masse gaukeln hier statischen, aber regen Betrieb vor. Das Airport-Layout entspricht den gängigen Karten. Ob PLUTO oder NESSY, A4 oder Link 33 – Orientierung geht tadellos. Hier war die Standardversion von Asobo eher herausfordernd. Auch die ILS-Frequenzen und Navaids sind natürlich korrekt. Ob iniBuilds hier überhaupt was angefasst hat? PAPIs und HIALS-II-Lichter sind an alle Bahnen ebenfalls vorhanden.
Die Bodentexturen des Vorfelds wirken an vielen Stellen lieblos. So ist nicht nur auf die optisch wichtigen Straßen der Bodenfahrzeuge am Terminal 5 verzichtet worden, auch typische Reifenspuren an den Parkingstands wirken hingewürfelt. Jede freie Textur des Airports wirkt so, als wäre sie gerade von einer mit Hochdruckreiniger bewaffneten Reinigungsmannschaft abgekärchert worden. Ein Airport, der täglich von massiven Flugbewegungen runtergerockt wird, muss anders aussehen. Hier zeigen konkurrierende Szenerie-Entwickler auch im optisch an Glücksbärchen anmutenden Microsoft Flight Simulator trotzdem mehr Schmutz.
Objektgewordene Airline-Reklame
Kommen wir mal zu den über 80 handplatzierten und modellierten Objekten. Ich gebe zu, ich habe sie nicht gezählt. Aber sie sind bestimmt da. Das A380-Modell an der Zufahrt zu Terminal1, 2 und 3 ist da, aber auch die Concorde an der Threshold zur 27L ist endlich in Heathrow zu Hause. Die 10.000 Fahrzeuge scheint iniBuilds tatsächlich platziert zu haben – aber nur auf Parkplätzen. Mal mit Parkplatztextur unterlegt, mal mit plumpem Satellitenbild.
Auf den Zufahrtsstraßen fehlen Fahrzeuge und Airportleben dafür komplett. Ist ja schön, dass die Spuren zum Ein- und Ausladen vor Terminal 3 alle lupenrein umgesetzt sind und nachts lila beleuchtet sind. Wenn dort allerdings keinerlei Fahrzeuge, Objekte oder Personen zu finden sind, wirkt die Szenerie in der Szenerie einfach nur öde. Schön, dass die Hotels und anrainenden Gebäude alle da sind. Aber provokant behaupte ich, dass ich mit 10 Stunden Blender-Tutorials solche auch nachbauen und per SDK platzieren könnte – daher sollten solche Gebäude in einer Szenerie Standard sein.
Terraforming oder Mesh scheint iniScene noch üben zu müssen. So ist zum Beispiel die Brücke gegenüber des A380 zwar platziert, aber nicht wirklich ins Höhenprofil des Sims integriert. Ein wildes Straßen- und Spuren-Potpourri vergewaltigt das Auge. Ja, es ist außerhalb des eigentlichen Flugbetriebes. Aber wenn sich die Entwickler schon die Mühe machen, die objektgewordene Airline-Reklame im Detail zu modellieren, warum wird dann in 10 Meter Entfernung aufgehört?
Oder die Straßen auf dem Vorfeld. Zum Beispiel an Terminal 5, die eigentlich unter Taxiways B und A durchführen, sind einfach ebenerdig dargestellt. Technisches Limit? Nein. In München hat es Simwings auch geschafft unter die Taxiways zu baggern. Noch schlimmer, dass bei Heathrow hier gleich noch das alte Luftbild durchschimmert – wie an vielen anderen Stellen des Airports. Und wenn wir schon bei Geländedarstellung sind: Was das Wasser im Süden des Airports anstellt, soll wahrscheinlich von den falsch auf dem Luftbild geparkten Autos ablenken.
In der Nacht macht der Airport was er soll. Allerdings begeistert er nicht. Oft scheint das Licht aus dem Nichts zu kommen, manchmal auch wirklich aus dem Lichtmast. Manche Landmarks sind schön beleuchtet (Turkish-Airlines-Werbung, Terminal 3), die Satelliten von Terminal 3 wirken dagegen trostlos. Was ich mich auch frage ist, wie die grünen Lichter auf den Taxiway-Linien zustande kommen. Diese sind sehr willkürlich platziert. MSFS-Algorithmus?
Bei den Windsäcken haben die Betatester nicht im Sturm getestet und die Entwickler geschlafen. Denn diese zeige in die falsche Windrichtung – 180° versetzt. Hier haben die Entwickler beim Platzieren des Objekts nicht beachtet, das dies um 180° gedreht werden muss. Ein Hinweis, der schon öfters im FSDeveloper- und Flight-Simulator-Forum die Runde gemacht hat. Sollten Entwickler eigentlich auf dem Schirm haben. Naja, ein Fix wird es beheben, das Geschmäckle wird bleiben.
Voll auf Touren
Kommen wir zum Wichtigsten, der Performance. Eine Szenerie kann noch so schön sein, wenn die Bildwiederholraten nicht stimmen, ist der Flugspaß nicht gegeben. Die Kühler meiner Grafikkarte kommen mit iniBuilds Version von Heathrow voll auf Touren – was die deutlich reduzierten Frames dann auch optisch bestätigen. Am schlimmsten ist der Anflug. Denn hier zwingt die Szenerie den Sim zu regelmäßigen Nachladehängern – anscheinend immer dann, wenn im LOD-Radius neu Objekte geladen werden. Selbst beim Touchdown zwang mich die Szenerie noch zu einem Hänger – Flugspaß adé. Es gibt bisher nur eine Szenerie im MSFS, bei der ich ein ähnliches Verhalten feststellen kann: Wien von Gaya. Hier kommt es zu gleichen Hängern, allerdings in geringeren Abständen. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass viele Nutzer:innen vielleicht nicht über die neueste Hardware verfügen, gib es hier nur einen Weg: Einstellungen herunterschrauben. Und das, wenn sonst alles im Sim ruckelfrei funktioniert?
Fazit
iniBuilds haben es kaufmännisch richtig gemacht. Sie sind die ersten, die einen der berühmtesten Airports der Welt auf Payware-Niveu in den Microsoft Flight Simulator gebracht haben. Allerdings zeigt diese Szenerie einen Trend, der auch in anderen Projekten auf den Marktplätzen zu erkennen ist: Wer ein 3D-Modelling-Programm und das SDK des Microsoft Flight Simulator bedienen kann, ist noch lang kein Künstler. Die Liebe zum Detail, eine eigene Handschrift oder Features, die einen Designer im großen Szeneriemarkt von anderen unterscheiden, fehlen iniScene hier leider. Die groben Schnitzer beim Terraforming oder der verdrehte Windsack könnte ich noch verkraften – wäre da nicht der große Performance-Einbruch. Denn dieser ist essentiell fürs Fliegen. Hier muss man sich die Frage stellen, ob man für 25 Euro die Asobo-Version von Heathrow ersetzen will. Bei mir zumindest fliegt die Release-Version von iniScenes/iniBuilds Heathrow wieder aus dem Community-Ordner. Mal sehen was die ersten Updates bewirken. Vielleicht kann ich dann auch bei iniBuilds sagen: Heathrow lohnt sich.
Im Moment aber nicht.
Ergänzung nach Update 1.10
Die Meinungen auf den iniBuilds-Kanälen waren nach Release geteilt. Viele User:innen berichteten von Begeisterung, andere waren enttäuscht. Jetzt haben die Briten ein Update hinterhergeschoben. Version 1.10 soll Probleme mit AI-Traffic und diverse optische Verbesserungen mitbringen. Außerdem wurden die Parkpositionen mit mehr Schmutz versehen. Aber auch die „Night lighting emissive Textures“ wurde bei Terminal 5 hinzugefügt. Das Update beträgt 2.0 Gigabyte und wird über den iniManager installiert.
Ein kurzer Testflug zeigt: Ja, die Szenerie wurde an den im Changelog genannten Stellen optisch verbessert. Die Parkpositionen haben in der Tat individuelle Abnutzung am Boden und sehen mehr nach runtergerocktem Hauptstadtflughafen aus.
Aber viele der oben genannten Mängel bleiben bestehen. So sind die Windsäcke immer noch 180° verdreht und das auch Terraforming bleibt unverändert. Die „emissive“ Nachttextur (was immer das sein soll) bei Terminal 5 strotzt vor groben Pixeln und Darstellungslücken, die sich je nach Zoomstufe verändern. Verschlimmbesserung.
Einzig bei der Performance konnte ich bei zwei Platzrunden Verbesserungen feststellen. Ladehänger sind hier weniger und kürzer vorgekommen – von flüssigem Anflug kann aber immer noch nicht die Rede sein. Egal ob beim Blick Richtung Osten mit London im Hintergrund oder nach Westen mit Windsor, Legoland und Co.
London muss also immer noch reifen.
Ergänzung nach Update 1.20
Produktpflege können iniScene- im neuesten Update, das heute erschienen ist, haben die Briten noch einmal ein paar Verbesserungen veröffentlicht. So soll nicht nur die Performance besser laufen, auch die Windsäcke stimmen jetzt und außerdem gibt es eine Visual Docking Guidance System (VDGS), das per extra Installer installiert werden muss und bis jetzt nicht im Download enthalten ist. Nach einer kurzen Testsession kann ich bestätigen: Funktioniert ohne Probleme. Selbst ein Airbus-Add-on, dass sich derzeit noch in der Entwicklung befindet, wurde vom VDGS wunderbar erkannt. Ein Aufwertung, die man sich eigentlich für den Preis schon beim Release gewünscht hätte.
Bei der Performance gute und schlechte Nachrichten: Die Ladehänger wurde zwar in ihrer Anzahl und Länge reduziert, treten aber immer noch auf. Egal ob Anflug auch die 27L/R oder 09L/R, es kann ruckelig werden, wenn der Sim Texturen in eine Ablage schaufeln will.
iniScene / iniBuilds - Heathrow EGLL
- Umfang 4.0
- Qualität 5.0
- Performance 3.0
- Preis-Leistungsverhältnis 3.0
Ich kenne allerdings keinen Simulator, in dem ein EGLL Addon mit Frames glänzt.
Damit hätte ich bei Iniscene nicht gerechnet.
Sehr sehr schade.
Was die FPS angeht muss ich allerdings sagen, dass der Airport aus der Premiumversion bei mir auch ordentlich Leistung abverlangt und lange nicht so flüssig läuft wie andere Szenerien.
Vllt liegt es nicht nur am Flugplatz
Danke für Deine Eindrücke.
Danke Julius, schönes und treffendes Review. Habe leider Blind gekauft.
Bei FSElite hat iniBuilds schon angekündigt dass man sich der Kritik annimmt und schaut was man alles in Zukunft noch durch Updates machen kann. Schön dass man da sehr ehrlich und offen mit umgeht. Da gibt es in der Branche ja auch andere Kandidaten.
Hätte man sich vor dem Release kümmern sollen/ müssen.
Sehr sehr schwach von ini, aber naja sind ja gerade everyone’s darling, kann man mal Auge zudrücken.
Klar keine Frage. Gerade auch weil das Team welches am Airport gearbeitet hat wohl auch nicht gerade klein war.
War in letzter Zeit auch extrem überzeugt von ini, daher auch blind gekauft. Passiert sicher so schnell nicht mehr.
Aber auch lieber eine späte Einsicht als keine. Mal sehen wie es dann mit den Updates ausschaut.
ini leistet sich immer mehr Schnitzer. Der A300 (Erstkäufer, seitdem nixmehr) in XP hat auch über 1 Jahr mit einem richtigen Update gebraucht, welches grobe Schnitzer (wie laterale Navigation etc) gefixt hat. Und dann kamen seitdem 8 kleine Einzelfixes wg. SASL Crashes bei Runway oder SID Auswahl. Deren Qualitätstests sind einfach nicht gut – siehe hier das Beispiel mit dem Windsack!
Sie zehren vom Marketing!
Die leben halt von ihrem „Underdog Image“. Keine Ahnung, warum Freeware Anbieter jetzt plötzlich alle Payware machen wollen, die Szenerien von Ini und RDPreset sind jedenfalls unterirdisch.